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AutorenbildK. H.

Toxische Scham – Teil III Bewältigungsmechanismen


“Wenn Sie Scham in eine Petrischale geben, braucht es drei Zutaten, um exponentiell zu wachsen: Geheimhaltung, Schweigen und Urteil.

Wenn man die gleiche Menge Scham in die Petrischale gibt und sie mit Empathie übergießt, kann sie nicht überleben.”

“Empathie ist das Gegenmittel gegen Scham.”

Brené Brown



Auf unbewusster Ebene findet folgender Bewältigungsmechanismus statt:

Im Zentrum ist das wahre Selbst. Wenn jemand gespiegelt bekommt, dass sein wahres Selbst nicht gut ist, dass er minderwertig und nicht liebenswert ist, entwickelt er das schambasierte Selbst außerhalb des Zentrums und dies ist der Kritiker.

Der Kritiker ist nun eine Instanz im Gehirn und kommuniziert die ganze Zeit, dass man nicht gut genug ist, und er wertet einen ab und ist sehr negativ dem Selbst gegenüber eingestellt. Aber das Selbst will geliebt und respektiert werden, also zeigt sich die einzige Lösung darin, das wahre Selbst zu verbergen, weil man gelernt hat, dass sonst eine Zurückweisung oder ein Verlassenwerden droht.


Deswegen entwickelt man eine Persona. Das ist eine Maske, die man sich aufzieht und fortan trägt, in der Hoffnung, dass man dadurch gemocht und respektiert wird. Man hat also drei verschiede Selbst- Schichten und eine vierte kommt noch dazu: die «Wenn ich doch nur so wäre»- Schicht.


Das Ideal- Selbst in der Vorstellung, von dem man denkt: wenn ich so wäre, dann wäre ich absolut glücklich. Jeder würde einen lieben, jeder würde einen respektieren. Das Problem ist jedoch, dass der innere Kritiker einen immer mit dem Ideal-Selbst vergleicht, was einer perfektionistischen Norm entspricht und niemals erreicht werden kann. Die Erkenntnis, die man dann daraus wieder mal zieht, ist: man ist nicht gut genug.


Man entwickelt also ein System, um die Scham aufzulösen, aber stattdessen verstärkt und bekräftigt es die Scham. Sie fängt an, sich durch den Bewältigungsmechanismus selbst zu speisen. Mit zunehmendem Alter muss von Aussen nicht einmal mehr eine aktive Beschämung kommen, das Gehirn wiederholt alles, was die Eltern früher einmal gespiegelt haben. Die Instanz der sogenannten “internalisierten Eltern”, die nun ein ständiger Kritiker ist. Dann ist es egal, was man tut, es wird niemals gut genug für einen sein. Und ein Trigger reicht aus, um den Kritiker und damit die Schamspirale zu aktivieren. Also ein System, das verhindert, dass man der Scham entkommt, weil es alles, was man tut mit einer Schambotschaft bewertet. Man übernimmt also die Beschämung durch die Eltern und führt die Beschämung selbst fort.

Also die Angst vor dem Verlassenwerden wird zum Hauptmotivator. Das Bedürfnis geliebt zu werden ist jedoch immer noch da, also ist die Frage: Wie bekomme ich Liebe und Respekt, ohne dass die Leute mein wahres Selbst kennen lernen? Das wird zur Herausforderung für das Gehirn einer Person mit Scham.

Folgende frühe Lösungsmöglichkeiten, die dem limbischen Gehirn (dem Unterbewusstsein) zur Verfügung stehen, bilden eine momentane Lösung, die Scham und die Angst vor dem Verlassenwerden zu verstecken, verschlimmern die Lage aber auf lange Sicht:

1. Sei niemals verwundbar oder zeige niemals Schwächen oder «schwache» Gefühle; sei nie

authentisch. Verstecke diese Emotionen. Zieh eine Maske auf.

2. Rollen, die Kinder entwickeln, um der Scham zu entkommen:

a. Perfekt sein, beste Leistungen vollbringen

b. Helfend sein, ein «People Pleaser» sein, scheinbar keine eigenen Bedürfnisse haben

c. Krankheit als Lösung, sich schwach machen

d. Schwierig oder chaotisch sein, ein Clown sein, Humor als Maske tragen

3. Lügen, Geheimnisse haben, um vermeintliche Schwächen zu verstecken und eine Beschämung zu

vermeiden

4. Isolation, Mauern ums Herz, keine Beziehungen

5. Aufs Äussere fokussiert sein, aufs Image, eine perfekte äussere Erscheinung erschaffen

6. Kontrollieren, was andere über einen denken – um die eigenen Bedürfnisse erfüllt zu bekommen und

um zu verhindern, dass die eigene Scham von anderen entdeckt wird

7. Selbstständig sein, niemanden brauchen – superautonome Selbstgenügsamkeit entwickeln.

Einzelne oder alle diese Muster können bei Menschen, die unter einer toxischen Scham leiden, vorkommen. Es sind unbewusste Reaktionen auf traumatische Erfahrungen.


Scham und Verbindung


Als Menschen sind wir darauf ausgerichtet, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Dies ist in unser Gehirn inkorporiert. Unser Menschsein wird durch die Sehnsucht nach einer engen Beziehung geprägt, in der wir uns auf tiefster Ebene miteinander verbinden können. Unser Gehirn ist auf diese Weise ausgerichtet und vernetzt.

Ein Mangel an Bindung führt bei Kindern dazu, dass sie in sich selbst die Ursache sehen – daraus resultiert Scham. Scham führt zu Angst vor Verbindung, einer Angst davor, erkannt zu werden: «Wenn sie mich kennen lernen, werde ich bestimmt zurückgewiesen oder verlassen».

Aus diesem Grund ergibt sich die Faustregel, niemals authentisch oder verletzlich zu sein, denn es wird immer zu Schmerz führen. Sondern sich möglicherweise mit Pseudo- Verbindungen zu begnügen: zum Beispiel Promiskuität, Sucht und Social Media. Also keine echte Intimität, aber das Gefühl wie Intimität: vorgetäuschte Nähe und oberflächliche Beziehungen als Lösung.

Das heisst nicht, dass man sich statisch immer so verhält, es ist durchaus eine Fluktuation möglich, so dass man z.B., wenn man gerade getriggert wird, oder stark unter Stress steht, stärker in diese Muster verfällt als zu anderen Zeiten, in denen man ein höheres Gefühl von Sicherheit hat und entspannter sein kann.


Eine Inspiration


Beim Wandeln des Traumas ist es so, wie wenn wir eine Zwiebel Schale für Schale auseinanderpellen. Zwiebelschale für Zwiebelschale. Und im Inneren der Zwiebel finden wir den problematischen Glaubenssatz. Eine Überzeugung, die wir irgenwann einmal als Schlussfolgerung aus den Erfahrungen gebildet haben. Er entspricht aber nicht der Wahrheit.

Auch wenn für die Traumaarbeit ein fachmännisches Gegenüber, ein Psychotherapeut, meistens notwendig ist, beginnt und endet alles mit dir selbst. Sich selbst gegenüber authentisch sein, sich Unbewusstes bewusst machen, der Sache auf den Grund gehen setzt eine Bereitschaft voraus, den eigenen Schattenseiten zu begegnen. Radikale Akzeptanz dessen, was ist und gleichzeit offen sein für Veränderungen.

Das Ziel ist, eine gute Beziehung zu sich selbst zu entwickeln und zur eigenen Authentizität wieder zurückzufinden.


Im Teil IV der Reihe geht es um anderen Emotionen neben der Scham.

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